Die Märkte zwischen ‘Government Shutdown’ und ‘Dicker Bertha’ der EZB
Aufzeichnung der VSP-Onlinekonferenz vom 8. Oktober 2013
‘Nicht immer, aber immer öfter’ – so könnte man das regelmäßige Spektakel des US-Haushaltsstreites zwischen den regierenden Demokraten und den oppositionellen Republikanern resignierend kommentieren, in dem seit Januar 2011 John Boehner, der Sprecher des republikanisch dominierten Repräsentantenhauses, als Gegenfigur zum demokratischen Präsidenten Barack Obama, dessen Partei im Senat die Mehrheit besitzt, auf der politischen Bühne dazu auftritt. Nicht minder regelmäßig – seit 1917 bereits mehr als 70 Mal; seit 2011 bereits 13 Mal – wurde in Folge des explodierenden Staatsdefizits die Schuldenobergrenze angehoben.
Voraussichtlich am 17. Oktober wird die Schuldenobergrenze (‘Debt Ceiling’) von 16,7 Billionen US-Dollar (ca. 12,5 Billionen Euro) erreicht werden und spätestens dann die massive Überschuldung des US-Staatshaushaltes weltweit sichtbar, ebenso die Gefahr eines Zahlungsausfalls. Beide politische Parteien im US-Kongress sind derzeit von einer Kompromissfähigkeit weit entfernt und den Streit, der mit dem Ende des Haushaltsjahres zum 30. September an Brisanz gewonnen hat, droht zu eskalieren – ähnlich wie zuletzt in den 1990er Jahren unter Bill Clinton.
Die politischen Gegner Obamas, deren Zustimmung der US-Präsident zur Verabschiedung eines neues Staatshaushaltes, vulgo: einer neuerlichen Anhebung der Schuldenobergrenze zwingend bedarf, werden vom wenig kompromissbereiten rechten Parteiflügel der Tea Party-Bewegung dominiert. Diese stockkonservative Gruppe instrumentalisiert, allen Kollateralschäden zum Trotz, das sensible Thema Staatsfinanzen, um daraus für sich politisches Kapital zu schlagen und Obama konservative Positionen abzutrotzen, allen voran die Rücknahme der unter ihm verabschiedeten staatlichen Gesundheitsreform.
Zipfels Fazit ist deutlich: Das ‘Debt Ceiling‘-Procedere ist in Zeiten explodierender Staatsverschuldung der größten Volkswirtschaft der Welt unzeitgemäß und kontraproduktiv, da es für unnötige Verunsicherung der Kapitalmärkte sorgt. Die Folgen des derzeitigen politischen Vabanque-Spiels der politischen Eliten in den USA sind schon manifest und nicht zu unterschätzen: Als Folge der zwischenzeitlich eingetretenen Haushaltssperre trat bereits das ‘Government Shutdown’ ein, das zum Einfrieren zahlreicher staatlicher Dienstleistungen und Aktivitäten führt und Hunderttausende staatlicher Bediensteter vorerst einkommenslos lässt. Eine Einigung im Etatstreit bleibt für Zipfel sehr wahrscheinlich, da der öffentliche Druck immens hoch ist – und sei diese wie in früheren Fällen nur eine befristete Übergangslösung, die beiden Parteien, die sich sehr exponiert haben, mehr Luft zum Verhandeln gibt.
Das Grundproblem bleibt weiterhin ungelöst, wie Zipfel klar herausstellt: Eine Konsolidierung der US-Staatsfinanzen durch Sparen ist nicht (mehr) möglich, wenngleich theoretisch die US-Notenbank den kompletten US-Haushalt finanzieren könnte. Das Grundübel bildet die überbordende Staatsverschuldung, die vom IWF aktuell für 2013 mit rund 108% des BIP prognostiziert wird. Die Staatsverschuldung hat während Obamas Präsidentschaft massiv zugenommen; zu Beginn seiner Amtszeit betrug sie lediglich 76%. Fakt ist aber auch, so Zipfel: “Ein Staat kann generell nie bankrott gehen – lediglich seine Gläubiger.”
Die ‘Krankheit’ der überbordenden Staatsverschuldung hat längst schon den Weg über den Großen Teich genommen und die Mehrzahl der Euro-Länder infiziert, insbesondere die Südländer. Das auch hier befolgte Sanierungsrezept, die kriselnden Volkswirtschaften nicht substanziell und strukturell (abschreckendes Beispiel: Griechenland), sondern durch verstärkte Liquidität zu unterstützen, wird auch im Euroraum zu einer absehbaren Geldentwertung führen, der der Einzelne nur bedingt durch Flucht in Sachwerte begegnen kann.
Das von EZB-Präsident Draghi jüngst wieder in Aussicht gestellte Offenmarktinstrument längerfristiger Refinanzierungsgeschäfte in Form eines Dreijahrestenders (LTRO III) kann aller scherzhaft gemeinten martialischen Bezeichnung als ‘Dicke Bertha’ zum Trotz nur in eine Richtung führen – in die Sackgasse einer monetären Entwertung. Es sei angemerkt, dass auch das namengebende Krupp’sche Großgeschütz des 1. Weltkrieges zwar imposant, aber letztlich wenig wirkungsvoll war. Ein Schuss mit dem 42-cm-Mörser kostete seinerzeit übrigens die Rekordsumme von 1.500 Goldmark; das Geschütz war auf 2.000 Schuss ausgelegt …
Aufzeichnung der VSP-Onlinekonferenz vom 8. Oktober 2013