Hintergründe, Leben und Werk von Ludwig von Mises: “Der Staatsapparat ist ein Zwangs- und Unterdrückungsapparat. Das Wesen der Staatstätigkeit ist, Menschen durch Gewaltanwendung oder Gewaltandrohung zu zwingen, sich anders zu verhalten, als sie sich aus freiem Antriebe verhalten würden.”
Das wohl berühmteste Zitat von Ludwig von Mises:
„Es gibt keinen Weg, den finalen Kollaps eines Booms durch Kreditexpansion zu vermeiden. Die Frage ist nur ob die Krise früher durch freiwillige Aufgabe der Kreditexpansion kommen soll, oder später zusammen mit einer finalen und totalen Katastrophe des Währungssystems kommen soll“.
Leben
Ludwig Edler von Mises wurde am 29. September 1881 in Lemberg, der Hauptstadt der österreichischen Provinz Galizien (heute West-Ukraine), geboren. Sein Vater war als Ingenieur bei den österreichischen Staatsbahnen beschäftigt, seine Mutter stammte aus einer angesehenen bürgerlichen Familie, u. a. war einer ihrer Onkel Abgeordneter der liberalen Partei im österreichischen Parlament.
Mises ging in Wien zur Schule. In 1900 begann er an der Wiener Universität ein Jurastudium, das er 1906 mit einer Promotion zum Doktor der Rechte abschloß. Danach arbeitete er einige Jahre als Rechtsanwalt, bis er 1909 von der Wiener Handelskammer als Referent eingestellt wurde. In diesem Amt waren nicht nur juristische, sondern auch ökonomische Kenntnisse gefragt, da die Handelskammer alle wirtschaftspolitischen Entscheidungen der Regierung zu begutachten hatte.
Mises war für diese Aufgabe bestens gerüstet, weil er sich parallel zu seinem Jurastudium schon seit vielen Jahren mit Ökonomie beschäftigt hatte. Das Interesse für diese Wissenschaft wurde bei ihm durch die Lektüre von Carl Mengers Grundsätze der Volkswirtschaftslehre geweckt. Ab 1904 besuchte Mises regelmäßig das Seminar des Ökonomen Eugen von Böhm-Bawerk, der die von Menger begonnene wissenschaftliche Revolution fortsetzte, systematisierte und erweiterte. Auch Joseph Schumpeter und Otto Neurath waren Teilnehmer des Böhm-Seminars, in dem Mises die Ideen zu seiner Habilitationsschrift diskutierte, die 1912 unter dem Titel Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel erschien. Mises beteiligte sich bis 1913 an der Arbeit des Bömschen Seminars.
Seine Habilitationsschrift fand in der Fachwelt viel Anerkennung. Mises wurde 1912 zum Privatdozenten für Ökonomie an der Wiener Universität ernannt. Im 1. Weltkrieg war Mises Artillerieoffizier im Fronteinsatz. Nach dem Krieg nahm er seine Arbeit an der Wiener Handelskammer wieder auf, diesmal in der Stellung eines Leitenden Sekretärs. In dieser Funktion hatte Mises häufig Kontakt zu Regierungsvertretern und er wurde auch in der Öffentlichkeit als Ökonom wahrgenommen.
In der unmittelbaren Nachkriegszeit waren die Sozialisten in allen Ländern Kontinentaleuropas von der bolschewistischen Machtergreifung in Rußland fasziniert und viele versuchten, nach diesem Modell ihr jeweiliges Land in den Griff zu bekommen. Mises reagierte auf diese Herausforderung mit einer Reihe wissenschaftlicher Argumente. In Nation, Staat und Wirtschaft (1919) wies er nach, daß der Sozialismus keine rationale Ordnung schaffen kann, sondern Chaos und Armut bewirkt. In 1920 veröffentlichte Mises den Aufsatz Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen, der bereits wesentliche Gedankengänge seines zweiten großen Werkes enthält, das 1922 unter dem Titel Die Gemeinwirtschaft: Untersuchungen über den Sozialismus erscheint.
Der Einfluß dieses Buches war enorm, wie Friedrich von Hayek bestätigt: “Als ‘Sozialismus’ erstmals in 1922 erschien, war seine Wirkung sehr tiefgehend. Es änderte allmählich, aber sehr grundlegend die Weltsicht vieler junger Idealisten, die aus dem 1. Weltkrieg zu ihren Universitätsstudien zurückkehrten. Ich weiß es, weil ich einer von ihnen war … Wir waren entschlossen, eine bessere Welt aufzubauen und es war dieser Wunsch, die Gesellschaft umzubauen, der viele von uns zum Studium der Ökonomie geführt hatte. Der Sozialismus versprach, unsere Hoffnungen auf eine rationalere und gerechtere Welt zu erfüllen. Und dann kam dieses Buch. Unsere Hoffnungen wurden zerschmettert. ‘Sozialismus’ sagte uns, daß wir für Verbesserungen in die falsche Richtung gesehen hatten.”
Von 1920 bis zu seinem Weggang aus Wien 1934 veranstaltete Mises in seinem Büro in der Handelskammer ein Privatseminar. Die Teilnahme an dem Treffen, das alle zwei Wochen stattfand, war nur auf Einladung möglich. Mises versammelte meist jüngere Wissenschaftler aus sehr unterschiedlichen Fachgebieten um sich. Zu den regelmäßigen Teilnehmern zählten: Friedrich von Hayek, die Ökonomen Fritz Machlup und Gottfried von Haberler, der spätere Begründer (zusammen mit J. von Neumann) der Spieltheorie Oskar Morgenstern, der Mathematiker Karl Menger (Sohn von Carl Menger), der Politologe Eric Voegelin, der Soziologe Alfred Schütz und der Philosoph Felix Kaufmann, der gleichzeitig dem “Wiener Kreis” angehörte, einer von Moritz Schlick geleiteten Gruppe von Positivisten, deren methodologische Auffassungen der ältere Mises heftig bekämpfte. Es fällt auf, daß Mises in seiner Wiener Zeit in diesen Fragen sehr viel offener war als später in der Emigration. Felix Kaufmann, der beiden Kreisen angehörte, brachte oft Positivisten als Gäste mit in das Privatseminar von Mises. Auch die anderen Teilnehmer des Mises-Seminars vertraten unterschiedliche bis gegensätzliche Methodologien und politische Überzeugungen.
In 1927 veröffentlichte Mises mit Liberalismus das positive Gegenstück zu seiner Sozialismuskritik. Im selben Jahr gründete er das Österreichische Konjunkturforschungsinstitut und ernannte Hayek zu dessen Direktor. In 1934 folgte Mises einem Ruf an das Genfer Institut für Höhere Studien, wo er 1940 das 756-Seiten-Werk Nationalökonomie, Theorie des Handelns und Wirtschaftens publizierte, das aber, bedingt durch den bereits ausgebrochenen Krieg, unbeachtet blieb.
Während seines Aufenthaltes in Genf heiratete Mises, der in Wien als überzeugter Junggeselle bei seiner Mutter gewohnt hatte, ein Jahr nach deren Tod im Alter von 58 Jahren die verwitwete Schauspielerin Margit Sereny-Herzfeld, die 2 Kinder aus ihrer ersten Ehe hatte. Im Juli 1940 entschloß sich das Ehepaar Mises zur Emigration in die USA, wo sie am 2. August 1940 ankamen. Mises bezog eine kleine Wohnung in der West End Avenue in New York City, die für den Rest seines Lebens sein Wohnsitz blieb.
Nach seiner Ankunft in den USA sah sich Mises in einer existenziellen Notlage. Er, der bis dahin nie wohlhabend gewesen war, hatte sein bescheidenes Sachvermögen in seiner Wohnung in Wien zurückgelassen, die nunmehr, inklusive seiner Bücher und privaten Aufzeichnungen, verloren war. Sein Geldvermögen war zum größten Teil auf Bankkonten in England deponiert. Die im Krieg eingeführte Devisenbewirtschaftung machte es ihm unmöglich, über seine in englischer Währung gehaltenen Ersparnisse zu verfügen.
In dieser Situation war Mises auf die Hilfe von Freunden angewiesen. Besondere Verdienste in dieser Hinsicht hat sich Henry Hazlitt erworben, der damals für den Wirtschaftsteil der New York Times zuständig war. Hazlitt beauftragte Mises, eine Artikelserie über die Situation in Europa für die NYT zu schreiben. Durch diese Artikel wurde die National Association of Manufacturers (NAM) , eine wirtschaftsliberale Unternehmerorganisation, auf Mises aufmerksam. Mises lieferte viele Beiträge zu der von der NAM herausgegebenen Studie The Nature and Evolution of the Free Enterprise System . Die NAM lud ihn auch zu Vorträgen vor Unternehmern ein, wodurch Mises einige der führenden Industriellen der USA persönlich kennenlernte.
Ein weiterer Freund, der ihn maßgeblich unterstützte, war John van Sickle von der Rockefeller Foundation, der in Wien manchmal das Privatseminar von Mises besucht hatte. Im Dezember 1940 erhielt Mises ein Stipendium der Rockefeller Stiftung, das es ihm ermöglichte, sein erstes Buch in Englisch zu schreiben: Omnipotent Goverment and Bureaucracy, in dem er die enge Verbindung von National-Sozialismus und Kommunismus nachweist.
Das Ende des Krieges warf für Mises noch einmal die Frage nach seiner beruflichen Karriere auf. Nach der Zwangsbewirtschaftung der Kriegszeit nahmen die Universitäten wieder ihren normalen Lehr- und Studienbetrieb auf. Mises, der Zeit seines Lebens eine vollbezahlte Professorenstelle angestrebt hatte, mußte feststellen, daß er als 64-jähriger Emigrant in dieser Hinsicht kaum Chancen hatte. Ab 1945 gab Mises jeden Montag eine Vorlesung über Sozialismus an der New York University (NYU) Graduate School of Business. Die Universität bezahlte ihm dafür 1.000 $ pro Semester. Ab 1948 gab Mises zusätzlich jeden Donnerstag ein Seminar über die Rolle der Regierung. Als die NYU ankündigte, daß sie Mises nicht mehr bezahlen würde, übernahm es der private William Volker Charities Fund aus Kansas City, Mises ein Gehalt für seine Lehrtätigkeit in Höhe von 8.500 $ pro Jahr zu zahlen. Nach der Auflösung des Volker Funds in 1962 brachten Leonard Read, der ehemalige Geschäftsführer der Handelskammer von Los Angeles, Henry Hazlitt und der Werbemanager Lawrence Fertig die Mittel auf, um das Gehalt von Mises zu bezahlen. Aus dieser Quelle erhielt Mises 11.700 $ pro Jahr. Die Montags-Vorlesung hielt er bis 1964, das donnerstägliche Seminar wurde bis 1969 abgehalten.
Während Mises erkennen mußte, daß die von ihm erträumte Professorenstelle für ihn niemals erreichbar sein würde, machten viele seiner Schüler eine beachtliche akademische Karriere. Friedrich von Hayek wurde bereits 1931 Professor of Economic Science an der London School of Economics und wechselte 1950 an die Universität Chicago, Gottfried von Haberler wurde Professor an der Harvard University, Fritz Machlup und Oskar Morgenstern erlangten diese Position in Princeton. Aber auch viele Ökonomen aus der Generation von Mises hatten prominente akademische Positionen erreicht, wie z. B. Joseph Schumpeter, sein Studienkollege aus dem Böhmschen Seminar, der seit den 30er Jahren einer der bekanntesten Professoren von Harvard war. Sogar innerhalb seiner Familie mußte Mises Vergleiche ziehen, die für ihn ungünstig ausfielen. Sein jüngerer Bruder Richard hatte bereits mit 24 Jahren in Mathematik seinen Doktortitel erhalten und wurde kurz danach Professor für Mathematik in Straßburg, später dann in Berlin und Istanbul, bis er 1939 nach Harvard kam, wo er 1944 Professor of Aerodynamics and Applied Mathematics wurde.
Diese Lebensumstände scheinen sich auf das Selbstwertgefühl von Mises negativ ausgewirkt zu haben. Während die Anarchokapitalisten, von denen viele das Seminar an der NYU besucht hatten, Mises als “gentle and sweet” bezeichnen, sahen andere in Mises einen “hopeless pessimism” zum Ausdruck kommen. Der Anarchokapitalist Murray Rothbard schreibt: “As a scholar, as an economist, and as a person, Ludwig von Mises was a joy and an inspiration, an example for us all”.
Im Gegensatz dazu beschreibt der aus Österreich stammende Management-Experte Peter Drucker, der Mises noch aus Wien kannte, diesen so: “He was the most depressing person I ever saw.” Drucker, der Mises gelegentlich auf dem Campus der NYU traf, fand ihn immer mürrisch und desinteressiert vor.
Die depressiv-pessimistische Haltung von Mises in jener Zeit zeigt sich auch bei dem folgenden Vorfall. Mises war von einer großen Universität der Ostküste zu einem Vortrag eingeladen worden. Er lehnte die Einladung als “Zeitverschwendung” ab. In seiner Ablehnung schrieb er: “One hour of sound economics against several years of indoctrination of errors! Now, exploding any one of them requires much more time than that assigned to me in your program.”
Ein aufschlußreicher Vorfall ereignete sich 1953 bei einem Treffen der Mont Pèlerin Gesellschaft, einer von Hayek gegründeten Organisation liberaler Wissenschaftler. Während einer von Milton Friedman geleiteten Arbeitssitzung sprang Mises plötzlich auf, rief der verdutzten Versammlung die Worte: “You are all a bunch of socialists” zu und stürmte aus dem Raum. Milton Friedman stellte dazu fest: die von Mises angegriffene Arbeitsgruppe “…contained not a single person who, by even the loosest standards, could be called a socialist.”
Bei einer anderen Zusammenkunft der Mont Pèlerin Gesellschaft sprach Fritz Machlup, einer der treuesten Mises-Schüler und damals Professor an der Johns Hopkins University, über Geldpolitik, wobei er die Golddeckung des Geldes in Frage stellte und sich für flexible Wechselkurse aussprach. Mises war über diese häretischen Äußerungen so erzürnt, daß er in den folgenden drei Jahren kein Wort mit Machlup sprach. Erst nach vielen Bemühungen gelang es gemeinsamen Freunden, Mises wieder mit Machlup zu versöhnen.
Selbst Margit von Mises widerspricht der von den Anarchokapitalisten gegebenen Charakterisierung ihres Ehemannes: “He was gentle with me because he loved me. But actually he was not gentle. He had a will of iron and a mind like a steel blade. He could be unbelievably stubborn.”
Mises starb am 10. Oktober 1973 in New York. Zu seinem Begräbnis auf dem Ferncliff Cemetery in Hartsdale, New York, kamen 29 Personen.
Werk
Mises machte seinen wichtigsten Beitrag zur Ökonomie in seiner Habilitationsschrift von 1912 Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel. Vor Mises wurde die Geldtheorie als ein gesondertes Wissensgebiet behandelt, das mit der restlichen Ökonomie nur lose verbunden war. Die klassischen Ökonomen, wie auch ihre neoklassischen Kollegen, beachteten in ihren geldtheoretischen Analysen nur gesamtwirtschaftliche Größen: die Geldmenge, seine Umlaufgeschwindigkeit, das allgemeine Preisniveau, die jährlich produzierte Menge an Gütern und Dienstleistungen.
Es ist das Verdienst von Mises, als erster die Grenznutzenanalyse auf monetäre Fragen angewandt zu haben. Dieser Ansatz erfordert es, daß man auf mikroökonomischer Ebene, d. h. beim einzelnen Wirtschaftssubjekt, den Preis eines Gutes durch seine Menge und seinen Grenznutzen bestimmt. Mises behandelte nun das Geld wie jede andere Ware, nur daß im Falle des Geldes sein “Preis” in der Kaufkraft einer Geldeinheit zu sehen ist.
Durch diese neuartige Verbindung von Mikro- und Makroökonomie war Mises in der Lage, die bis dahin gültige Quantitätstheorie des Geldes in entscheidenden Punkten zu korrigieren. Während man bisher angenommen hatte, daß die Preise (P) sich proportional zur Geldmenge (M) ändern und Umlaufsgeschwindigkeit (V) sowie Produktionsmenge (Q) weitgehend konstant wären, konnte Mises zeigen, daß eine Änderung der Geldmenge nicht nur P beeinflußt, sondern auch V und Q, wobei die Änderungen von P keineswegs proportional zur Änderung von M sind.
Diese Entdeckung hat natürlich große Auswirkungen auf die Geldpolitik. Mises konnte an historischen Beispielen nachweisen, daß die von einer Erhöhung der Geldmenge ausgehende Inflation nicht gleichermaßen alle Wirtschaftssubjekte betrifft, sondern sich in Wellen ausbreitet und dadurch Inflationsgewinner und -verlierer schafft.
In einem weiteren Analyseschritt untersuchte Mises, welchen Einfluß die Geldpolitik auf den Konjunkturverlauf hat. Aufbauend auf den Arbeiten des schwedischen Ökonomen Knut Wicksell (1851-1926), der als Ausdruck einer jeweils gegebenen Sparneigung einen “natürlichen Zinssatz” entdeckt hatte, stellte Mises fest, daß vom Staat künstlich niedrig gehaltene Zinsen falsche Preis- und Gewinnsignale geben und dadurch zu einer Fehlleitung von Ressourcen führen.
Der zweite große Beitrag von Mises liegt in seiner Sozialismuskritik. In seinen kurz nach dem 1. Weltkrieg erschienen Werken weist er nach, daß im real existierenden Sozialismus keine rationale Wirtschaftsrechnung möglich ist. Auf dem Markt gebildete Preise sind Knappheitsindikatoren. Da es im Sozialismus nur staatlich administrierte Preise gibt, kommt es in ihm zwangsläufig zu einem unwirtschaftlichen Einsatz der Produktionsfaktoren und damit zur Kapitalvernichtung und Wohlstandsminderung.
In seinem 1940 publizierten Werk Nationalökonomie. Theorie des Handelns und Wirtschaftens , das 1949 in einer für den US-Buchmarkt überarbeiteten Fassung als Human Action. A Treatise on Economics erschien, geht Mises leider einen methodologischen Sonderweg, der ihn innerhalb der Ökonomie isoliert. Möglicherweise als Reaktion auf den theorielosen Historismus in Deutschland versucht Mises die Ökonomie als eine axiomatisch-deduktive Wissenschaft zu definieren, die keine Empirie mehr braucht, sondern ihre Ableitungen aus a priori Wissen vornimmt.
In Human Action gibt es keine Listen, Tabellen oder Grafiken. Das Werk enthält keine mathematischen Modelle, empirischen Studien oder quantitativen Beweise theoretischer Aussagen. Sogar einfache Angebots- und Nachfragekurven fehlen, und das mit voller Absicht, denn Mises bezeichnet sie als “two hypothetical curves”. Mises trennt die Natur- von den Sozialwissenschaften, die er als Praxeologie bezeichnet. Darunter versteht er eine “Wissenschaft des menschlichen Handelns”, die vollständig auf a priori Erkenntnissen beruht, aus denen durch logische Ableitung neue Aussagen gewonnen werden. Mises lehnt empirische Studien zur Überprüfung einer Theorie ab. Über seine Praxeologie sagt er: “Its particular theorems are not open to any verification or falsification on the grounds of experience.”
Mises steht in der Ökonomie auch allein in seiner Ablehnung der Mathematik: “The mathematical method must be rejected not only on account of its barrenness. It is an entirely vicious method, starting from false assumptions and leading to fallacious inferences… There is no such thing as quantitative economics.”
Milton Friedman hat die negative Folgen des praxeologischen Ansatzes verdeutlicht, als er die Frage stellte, was geschehen würde, wenn wir Praxeologen wären und auf dieser Basis zur unterschiedlichen Forschungsergebnissen kämen: “We can yell, we can argue…but in the end we have no way to resolve it except by fighting, by saying you’re wrong and I’m right.”
Es gibt in der Wissenschaft einen besseren Weg, dieses Problem zu lösen. Wissenschaftliche Aussagen müssen so formuliert sein, daß sie an der Realität überprüfbar und widerlegbar sind. Die Vermutung, daß eine wissenschaftliche Hypothese wahr ist, wird umso größer, je häufiger die Hypothese einem Falsifizierungsversuch durch empirische Studien standgehalten hat.
Diese Methodologie, die heute in allen Wissenschaften anerkannt ist, wurde von den Naturwissenschaften schon von Anfang an angewandt, jedoch in einer intuitiven und nicht voll bewußten Form. Es ist das Verdienst des “Wiener Kreises”, einer von Moritz Schlick geleiteten Gruppe von Mathematikern und Naturwissenschaftlern (Rudolf Carnap, Carl Hempel, Otto Neurath, Ludwig Wittgenstein, u.a.), den Empirismus auf eine moderne Grundlage gestellt zu haben. Mises war mit der Arbeit des Schlick-Kreises bestens vertraut. Sein jüngerer Bruder Richard war dort ein sehr aktives Mitglied, aber auch einige Teilnehmer seines Privatseminars waren im “Wiener Kreis” tätig, wie z. B. Karl Menger und Felix Kaufmann. Wir wissen nicht, welche Motive Mises dazu gebracht haben, den Empirismus, auch Positivismus genannt, so brüsk und vehement abzulehnen.
Mises hat sich mit der in Human Action eingenommenen Position in der Ökonomie völlig isoliert. Für die Anarchokapitalisten jedoch ist dieses Werk eine Art Gründungsdokument.
“In the 1920s, Mises made important contributions to monetary economics, business cycle theory and of course socialist economics, but his later writings on the foundations of economic science are so cranky and idiosyncratic that we can only wonder that they have been taken seriously by anyone.” Mark Blaug
Mises Zitate
Finaler Kollaps durch Kreditexpansion:
„Es gibt keinen Weg, den finalen Kollaps eines Booms durch Kreditexpansion zu vermeiden. Die Frage ist nur ob die Krise früher durch freiwillige Aufgabe der Kreditexpansion kommen soll, oder später zusammen mit einer finalen und totalen Katastrophe des Währungssystems kommen soll“.
“Durch Kunstgriffe der Bank- und Währungspolitik kann man nur vorübergehende Scheinbesserung erzielen, die dann zu umso schwererer Katastrophe führen muss. Denn der Schaden, der durch Anwendung solcher Mittel dem Volkswohlstand zugefügt wird, ist umso größer, je länger es gelungen ist, die Scheinblüte durch Schaffung zusätzlicher Kredite vorzutäuschen.”
Ablehnung des Anarchismus:
“Liberalismus ist nicht Anarchismus; Liberalismus hat mit Anarchismus nicht das geringste zu tun. Der Liberalismus ist sich darüber ganz klar, daß ohne Zwanganwendung der Bestand der Gesellschaft gefährdet wäre, und daß hinter den Regeln, deren Befolgung notwendig ist, um die friedliche menschliche Kooperation zu sichern, die Androhung der Gewalt stehen muß, soll nicht jeder einzelne imstande sein, den ganzen Gesellschaftsbau zu zerstören.”
“An anarchistic society would be exposed to the mercy of every individual. Society cannot exist if the majority is not ready to hinder, by the application or threat of violent action, minorities from destroying the social order. This power is vested in the state or government.”
“Das sind die Aufgaben, die die liberale Lehre dem Staat zuweist: Schutz des Eigentums, der Freiheit und des Friedens.”
Der Liberalismus hat keine metaphysische Grundlage. Mises lehnt die Berufung auf ein angebliches Naturrecht ab:
“Wir Liberalen behaupten gar nicht, daß Gott oder die Natur alle Menschen zur Freiheit bestimmt hätte, schon darum nicht, weil wir über die Absichten Gottes und der Natur nicht unterrichtet sind und es grundsätzlich vermeiden, Gott und die Natur in den Streit um irdische Dinge hereinzuziehen.”
Die Menschen sind biologisch nicht gleich:
“Nun steht aber nichts auf so schwachen Füßen wie die Behauptung von der angeblichen Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt. Die Menschen sind durchaus ungleich…Die Natur wiederholt sich nicht in ihren Schöpfungen…Der Mensch, der aus ihrer Werkstatt hervorgeht, trägt den Stempel des Individuellen, des Einzigartigen, des Nichtwiederkehrenden an sich. Die Menschen sind nicht gleich, und die Forderung gleicher Behandlung durch die Gesetze kann keineswegs etwa damit begründet werden, daß Gleichen auch die gleiche Behandlung gebühre.”
“Die Menschen wirklich gleich zu machen, reicht alle menschliche Kraft nicht aus…Es geht über menschliche Kraft hinaus, einen Neger weiß zu machen. Aber man kann dem Neger dieselben Rechte verleihen wie dem Weißen und ihm damit die Möglichkeit bieten, bei gleichen Leistungen auch dasselbe zu erreichen.”
Absage an den Pazifismus:
“Wenn ein friedliebendes Volk von einem kriegslustigen Gegner angegriffen wird, dann muß es sich zur Wehr setzen und alles tun, den Ansturm der Feinde abzuwehren. Wenn in einem solchen Kriege von denen, die um ihre Freiheit und um ihr Leben kämpfen, Heldentaten vollbracht werden, so sind sie lobenswert, und mit Recht preist man die Mannhaftigkeit und Tapferkeit solcher Kämpfer. Hier sind Kühnheit, Unerschrockenheit, Todesverachtung lobenswert, weil sie im Dienste eines guten Zweckes stehen. Aber man hat den Fehler begangen, diese soldatischen Tugenden als absolute Tugenden hinzustellen… Doch in Wahrheit gibt es nichts, was an und für sich gut oder böse ist; gut und böse werden menschliche Handlungen immer nur durch den Zweck, dem sie dienen, und die Folgen, die sie nach sich ziehen.”
Einkommensunterschiede gehören unabdingbar zu jeder freien Gesellschaft:
“Die Befürworter der Gleichheit der Einkommensverteilung übersehen nämlich den wichtigsten Punkt: daß nämlich die Summe dessen, was verteilt werden kann, das jährliche Produkt der gesellschaftlichen Arbeit, nicht unabhängig ist von der Art und Weise, in der verteilt wird… Nur weil unsere Gesellschaftsordnung die Ungleichheit des Eigentums kennt, nur weil sie jeden anspornt, soviel als möglich und mit dem geringsten Aufwand an Kosten zu erzeugen, verfügt die Menschheit heute über die Summe von jährlichem Reichtum, den sie nun verzehren kann. Würde man diesen Antrieb beseitigen, so würde man die Ergiebigkeit der Produktion so sehr herabdrücken, daß die Kopfquote des Einkommens bei gleichmäßiger Verteilung tief unter das fallen würde, was selbst der Ärmste heute erhält.”
Sozialisten und Demokratie:
“Die Sozialdemokraten waren nur solange demokratisch, als es jede noch nicht herrschende Partei ist, d.h. solange sie sich noch nicht stark genug fühlten, um die Gegner mit Gewalt niederzuhalten. In dem Augenblick, in dem sie sich für die Stärksten hielten, haben sie – wie ihre Literaten es auch stets für diesen Zeitpunkt als angezeigt erklärt hatten – sich sogleich zur Diktatur bekannt. Erst als die Freikorps der Rechtsparteien ihnen blutige Niederlagen zugefügt hatten, wurden sie wieder ‘bis auf weiteres’ Demokraten.”
Das Wesen der Politik:
“Alle antiliberalen Parteien sind Parteien von Sonderinteressenten, die nichts anderes wollen, als ohne Rücksicht darauf, ob darob nicht der ganze Gesellschaftsbau in Stücke geht, Sonderbegünstigungen für ihre Anhänger zu erlangen.”
Der Staatsapparat
“Der Staatsapparat ist ein Zwangs- und Unterdrückungsapparat. Das Wesen der Staatstätigkeit ist, Menschen durch Gewaltanwendung oder Gewaltandrohung zu zwingen, sich anders zu verhalten, als sie sich aus freiem Antriebe verhalten würden.”
Kritik an den Neoliberalen am Beispiel der deutschen “sozialen Marktwirtschaft”:
“Die doktrinären Interventionisten wiederholen immer wieder, daß sie das Privateigentum an den Produktionsmitteln, die unternehmerische Tätigkeit und den Markt nicht abschaffen wollen. Auch die Anhänger der neuesten Interventionismusvariante, der deutschen ‘sozialen Marktwirtschaft’, betonen, daß sie die Marktwirtschaft als das bestmögliche und wünschenswerteste gesellschaftliche Wirtschaftssystem ansehen … Aber gleichzeitig betonen alle diese Befürworter einer Politik der Mitte mit gleicher Entschiedenheit, daß sie das Manchestertum und den Laissez-faire-Liberalismus ablehnen. Es sei notwendig, so sagen sie, daß der Staat immer dann in den Markt eingreift, wenn das ‘freie Spiel der Wirtschaftskräfte’ Bedingungen hervorbringt, die als ‘sozial’ unerwünscht erscheinen. Dabei ist es für sie selbstverständlich, daß es die Regierung ist, die in jedem einzelnen Fall zu entscheiden hat, ob ein bestimmter wirtschaftlicher Tatbestand aus ‘sozialer’ Sicht als verwerflich zu gelten hat.”
Das folgende Zitat bezieht sich auf Ludwig Erhard und die Angehörigen der neoliberalen Freiburger Schule, u.a.: Walter Eucken, Alfred Müller-Armack und Alexander Rüstow:
“Alle diese Enthusiasten des Interventionismus bemerken nicht, daß ihr Programm die vollständige Herrschaft der Regierung über alle wirtschaftlichen Angelegenheiten mit sich bringt und schließlich zu einem Zustand führt, der sich nicht von dem unterscheidet, was man Deutschen oder Hindenburg Sozialismus nennt. Wenn es im Ermessen der Regierung liegt, darüber zu entscheiden, ob bestimmte wirtschaftliche Sachverhalte ihren Eingriff rechtfertigen, dann bleibt kein Tätigkeitsbereich dem Markt überlassen. Dann entscheidet nicht länger der Konsument, was produziert werden soll, in welcher Menge, in welcher Qualität, von wem, wo, und wie – sondern die Regierung. Denn sobald die Ergebnisse eines unbehinderten Marktes sich von dem unterscheiden, was die Obrigkeit als ‘sozial’ wünschenswert ansieht, schreitet die Regierung ein. Das bedeutet, daß der Markt nur frei ist, so lange er genau das tut, was die Regierung von ihm möchte.”
Warum wir uns Liberale nennen:
“So wie der Liberalismus aus innerer Notwendigkeit jeglichen Kunstgriff in der Propaganda und alle bei den anderen Ideologien beliebten Mittel zur Erschleichung allgemeiner Zustimmung vermeiden muß, so muß er es auch vermeiden, seinen alten Namen aufzugeben, weil er unvolkstümlich ist. Gerade weil das Wort liberal in Deutschland einen schlechten Klang hat, gerade darum muß es der Liberalismus beibehalten. Man darf den Weg zum liberalen Denken niemand leichter machen, denn nicht darauf kommt es an, daß die Menschen sich zum Liberalismus bekennen, sondern darauf, daß sie … liberal denken und handeln.”