Es ist früh am Abend und ich sitze mit einem Glas Rotwein im Garten und denke nach. Zwei Libellen praktizieren in ihrer unnachahmlichen Art ihren Kunstflug in der Abendsonne. Wunderschöne Libellen. Die wohl perfektesten Flugmaschinen, die die Welt hervorgebracht hat. Unnachahmlich, faszinierend, einzigartig.
Von Helmut Reinhardt
Die Kinder rennen trotzdem ins Haus, weil sie die Libellen fürchten. Irgendjemand muss ihnen in ihren noch jungen Leben beigebracht haben, dass Libellen gefährlich seien. Schließlich sind diese Flugkünstler auch unter den Namen „Teufelsnadel“ oder „Augenbohrer“ bekannt. Die Kinder haben panische Angst vor ihnen. Als ich ihnen erzähle, dass Libellen für Menschen völlig ungefährlich sind, glauben sie mir nicht. „Papa“, sagen sie „alle (!) wissen doch, dass Libellen giftig sind! Sie sind bösartig und stechen!“
Und doch ist es wahr. Libellen schillern bunt und umgaukeln uns mit ihrer Schönheit. Sie locken nur mit ihrem befremdlichen Surren. Ihr Vorkommen zeigt an, dass die Natur gesund ist. Keinerlei Gefahr geht von ihnen aus. Man hat nichts zu befürchten. Doch nimmt man sie gefangen, kämpfen sie verständlicherweise um ihre Freiheit. Rebellisch mit aller Kraft. Vielleicht beißen sie dem Menschen in ihrer Not in den Finger. Das spürt man zwar, doch schmerzt es noch nicht einmal.
Sie sind anders als wir Menschen und für uns total harmlos. Sie übertragen keine Krankheiten, produzieren kein Gift oder gar tödliches Gas. Und doch haben sie allgemein einen schlechten Ruf. In Wahrheit verdienen diese wunderbaren Geschöpfe den Friedensnobelpreis. Niemals würden sie von sich aus zum Angriff übergehen. Nein, niemals greifen Libellen einen Menschen an. Im Gegenteil: sie sind scheu und flüchten. Manchmal jedoch verharren mutige Exemplare stehend in der Luft und beobachten uns misstrauisch. Zu Recht. Und doch bleiben sie völlig ungefährlich. Ihr Biss kann noch nicht einmal die menschliche Haut durchdringen. Ihr angeblich höchst gefährlicher Stachel ist in Wahrheit der Legebohrer der Weibchen mit der diese wunderbar schillernden Geschöpfe seit der Urzeit ihre Eier ablegen. Tödliche Libellen, die Pferde oder gar Menschen töten können, gibt es nicht. Sterben sie selbst, verändern sich unmittelbar nach ihrem Tod die Farbpigmente. Ihr Glitzern und Leuchten verschwindet und sie werden grau und blass.
Der Ripasso schmeckt wunderbar. Er schimmert rubinrot im Glas. Ein Wein mit Kraft und Dichte, ein Charakter mit wuchtiger Reife, Fruchtfülle und schöner Konzentration. Und ich denke weiter nach. In was für einer Welt leben wir mittlerweile? Wo ist die Wahrheit? Was ist Lüge? Die Versuchung ist groß, eine blaue Pille zu schlucken. Ob nur eine genügen würde? Wahrscheinlich nicht! Warum eigentlich wacht kaum jemand auf?
Irgendetwas stimmt doch nicht mit dieser Welt.
Die Nachrichten zersplittern das Gehirn und man weiß kaum noch, was man denken soll. Von Ägypten hört man in den letzten Tagen kaum noch etwas. Geschweige denn von Nordkorea. Die NSA-Snowden-Affäre verschwindet langsam aber sicher – ohne irgendwelche Konsequenzen – aus den Nachrichten. Und Angela Merkel äußert sich auf höchst interessante Art zur Souveränität der Bundesrepublik Deutschland.
Angela Merkel über die deutsche Souveränität am 21.08.13 in Stuttgart
Zurzeit bestimmt der Giftgasanschlag in Syrien die Nachrichten. Angeblich hat ein bösartiger Diktator Chemiewaffen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt, um sich mit dieser strunz dummen Aktion ins Fadenkreuz der größten Militärmacht der Welt zu bringen. Kaum jemand ist sich sicher, ob diese Version der Wahrheit entspricht. Nicht einmal die Verbündeten im britischen Parlament. Und doch scheint ein Friedensnobelpreisträger die Operation „Sühne“ starten zu wollen. Man hat keine Worte mehr. Man ist sprachlos. Es liegt kein einziger Beweis vor, dass Assad es war, der das Giftgas eingesetzt hat. Die Tatsache, dass es sich eventuell auch um eine False-Flag-Aktion der Rebellen oder anderer Mächte gehandelt haben könnte, scheint für die angeblich „Gerechten“ keine Rolle zu spielen. Und die Opfer werden einmal mehr benutzt, um die öffentliche Meinung zu manipulieren. Was und wie viel wäre in den Medien berichtet worden und welche (militärischen) Konsequenzen hätte es gegeben, wenn von Anfang an festgestanden hätte, dass die syrischen Rebellen das Giftgas eingesetzt haben?
Irgendetwas stimmt nicht mit dieser Welt.
Des Weiteren ist der WikiLeaks-Enthüller Bradley Manning zu einer Haftstrafe von 35 Jahren verurteilt und unehrenhaft aus der Armee entlassen worden, weil er mitgeholfen hatte, Kriegsverbrechen und andere Sauereien öffentlich zu machen. Gleichzeitig wird darüber berichtet, dass er demnächst als Frau weiter leben wolle. Welchen Sinn hat diese Nachricht und entspricht sie der Wahrheit?
Edward Snowden wird weiterhin verfolgt und in London werden durch den britischen Geheimdienst Computer des „Guardian“ zerstört, um geheime Dokumente zu vernichten. Der Lebenspartner des Guardian-Journalisten Glenn Greenwald wird stundenlang am Flughafen London-Heathrow von der Polizei festgehalten. Greenwald, der zu den Enthüllungen um das NSA-Spähprogramm beigetragen hatte, sieht in dem Vorfall einen Angriff auf die Pressefreiheit. [3] Und wir lernen gleichzeitig, dass – in Russland mittlerweile verbotene – sexuelle Ausrichtungen unter Whistleblowern anscheinend weit verbreitet zu sein scheinen.
Irgendetwas stimmt nicht mit dieser Welt.
Zeit Online musste einen kritischen Beitrag über Trusted Computing und Windows 8 zurückziehen, nachdem Microsoft eine einstweilige Verfügung gegen das Online-Magazin erwirkt hatte. Angeblich hatte die Bundesregierung vor Windows 8 gewarnt. Die Bundesregierung hatte laut Zeit Online angeblich gewarnt, das Programm zu benutzen. Denn Microsoft und die NSA könnten angeblich über die Möglichkeit verfügen, die Hardware und Software des Computers zu kontrollieren. Nicht nur Microsoft steht seit der Snowden-Affäre in der Kritik. Alle großen Internetdienste sollen von den amerikanischen und britischen Geheimdiensten dafür bezahlt worden seien, Features in ihren Programmen zu installieren, die der Überwachung der Nutzer dienen.
Eine Frage drängt sich an dieser Stelle auf und muss gestellt werden: Wurde das World Wide Web als Weiterentwicklung des ARPANET – ein im Jahr 1969 entstandenes Projekt der Advanced Research Project Agency (ARPA) des US-Verteidigungsministeriums – vielleicht in weiser Voraussicht nur erfunden, um das zu tun, was heute ohne Aufschrei vom größten Teil der Bevölkerung als selbstverständlich hingenommen wird? Nämlich eine umfassende und lückenlose Überwachung der Bevölkerung zu gewährleisten?
Schließlich hatten schon 1999 die beiden Forscher Dr. van Someren und Andrew Fernandes die beiden Schlüssel untersucht und kamen zu dem Schluss, dass der zweite der NSA gehört. Damals wurde das neuste Service-Pack 5 für Windows NT4 untersucht und Microsoftentwickler hatten vor der Freigabe der Software vergessen, die Debugging-Symbole (Behebung von Programmfehlern) zu entfernen. Ein Schlüssel war mit „KEY“ betitelt, der andere mit „NSAKEY“. Andrew Fernandez legte diesen Sachverhalt und seine Bedeutung 1999 auf der Crypto ’99 Konferenz “Advances in Cryptology” in Santa Barbara offen. Und die anwesenden Windows-Entwickler sollen damals auch gar nicht bestritten haben, dass der NSA-Schlüssel in die Microsoft-Software eingebaut wurde. Sie weigerten sich jedoch, zu erklären, wofür der Schlüssel benutzt wird, und warum er ohne Wissen der Nutzer dort eingesetzt worden war. Schon damals wurden also ab Windows 95 heimlich spezielle Zugriffsschlüssel der NSA in den Windows-Betriebssystemen angelegt und präpariert. [1]
[…] By adding the NSA’s key, they have made it easier — not easy, but easier — for the NSA to install security components on your computer without your authorization or approval,” Fernandes said. But Microsoft denied that the NSA has anything to do with the key. “The key is a Microsoft key — it is not shared with any party including the NSA,” said Windows NT security product manager Scott Culp. “We don’t leave backdoors in any products.” Culp said the key was added to signify that it had passed NSA encryption standards. Fernandes also simultaneously released a program on his site that will disable the key. The key exists in all recent versions of the Windows operating systems, including Windows 95, 98, 2000, and NT. The issue centers around two keys that ship with all copies of Windows. The keys grant an outside party the access it needs to install security components without user authorization.[..]
Der Ripasso schmeckt noch immer wunderbar. Und ich denke weiter nach. Wir sind auf einem sehr gefährlichen Weg. Die Welt der virtuellen Nachrichten ist höchst gefährlich geworden. Niemand kann man mehr unterscheiden zwischen Lüge und Wahrheit. Die Täuschung der Öffentlichkeit durch Politik und Medien hat einen Grad erreicht, der in keinster Form mehr erträglich ist. Es bleibt nur eins: Man kann dagegen kämpfen oder sich dem Schicksal der blauen Pille ergeben. [2] Denn wenn wir sterben, dann sterben wir an Selbstbetrug, Gleichgültigkeit, Desinteresse und Lethargie. Die meisten Medien und ihre Journalisten versagen auf ganzer Linie und Quer- und Nachdenker werden in die Verschwörungsecke gestellt.
Der Faschismus bildete seine Grundlagen und Identität schon immer aus einer Symbiose von Staats-, Presse- und Wirtschaftsmacht.
Die Libelle – in Erinnerung an einen geschätzten Künstler
23. Juli 2013 | 21:00h
Die Libelle, die ich gestern am Terrassenfenster sah und der ich den Weg ins Freie mehrfach gewiesene hatte, bis sie für mich nicht mehr zu finden war.
Jetzt liegt sie auf den Fliesen. Ich beobachte das Wunderwerk auf dem Boden. Es liegt in den Letzen Zügen. Nur ein Beinchen zuckt noch. Oder auch nicht. Ich trage das Insekt vorsichtig in eine windgeschützte Ecke der Terrasse. Ich platziere einen winzigen Wassertropfen nah an seinen Mund und beobachte lange die vielleicht nur noch vom Wind bewegten Arme.
Sie ist tot.
Ich schiebe den Leichnam in eine Streichholzschachtel. Mit C. bestatte ich die Libelle am Ufer.
Schluss
Wolfgang Herrndorf hat sich am Montag, den 26. August 2013 gegen 23.15 Uhr am Ufer des Hohenzollernkanals erschossen.
[1] 09.09.1999 Duncan Campbell
Peinlicher Fehler deckt die Unterwanderung von Windows durch die NSA auf
[2] Matrix: Rote oder blaue Pille
[3] „Guardian“-Reporter Greenwald empört:
Wildes, zusammen gestammeltes Geschreibsel in mangelnder Konsistenz. Der Rotwein hat dem Autor die Sinne vernebelt. Prädikat: Abraum. Fazit: don't drink and write.
Die Gedanken sind naheliegend und spiegeln eher die Sicht eines Dichters oder Philosofen wieder.
Ich finde den Text gut ,er stimmt zum nachdenken und muss nicht den Anspruch einer Wissenschaftlichen
Arbeit genügen.
Menschen fühlen das etwas nicht richtig ist , auch ohne Dr. Arbeit.
Vielen Dank für den Artikel Herr Reinhardt,
solche Artikel sind es, die das Leben lebenswert machen und immer wieder an die Schönheit der einfachen Dingen erinnern.
Obwohl ich die Erde und ihre unglaublich schöne Vielfalt unendlich Liebe, bin ich froh, wenn meine Lern- und Wanderjahre auf dieser Erde zu Ende sind. Wenn ich diese Erfahrungswelt verlasse, weiss ich genau, wie man es nicht machen sollte. Zu meinem Troste ist dies die brutalste aber einprägendste Erfahrung, welche sich in diesem Satze wiederspiegelt.
''Allles Leben ist heilig und beruht auf Zusammenarbeit.'' Besonders und natürlich gehören dazu auch Flora und Fauna :-). Das werden die meisten Menschen auf brutalste Art noch lernen müssen :-).