Ab 2011 tritt voraussichtlich das neue Jugendschutzgesetz in Kraft. Seitenbetreiber müssen Inhalte kontrollieren, klassifizieren und Maßnahmen zum Schutz der Jugend treffen. Folge: Blogs und kleine Seiten müssen dicht machen. Erste Schließungen noch in diesem Jahr!
Der neue Jugendmediendienstestaatsvertrag ist bisher kaum in der Öffentlichkeit diskutiert worden, obwohl die Folgen eine brachiale Zäsur für die Freiheit des Internets bedeuten. Unter dem Deckmantel des Jugendschutzes können in Zukunft Blogs und andere Internetseiten aus dem Verkehr gezogen werden, wenn sie den neuen Anforderungen nicht entsprechen.
Die Novellierung des Jugendmediendienstestaatsvertrags (JMStV) sieht vor, dass ab 2011 jeder Anbieter seine Webseiten auf jugendgefährdende Inhalte hin überprüfen, klassifizieren und Maßnahmen zum Schutz der Jugend vor diesen Inhalten treffen muss. Die Klassifizierungsstufen beruhen dann auf den aus dem Filmbereich bekannten Altersfreigaben (ab 0, 6, 12, 16 und 18 Jahren).
Die Pflicht zur Einordnung des Inhalts soll für jede Webseite gelten. Für die meisten Betreiber von Websites wird aus rein praktischen Gründen weder die mögliche Verwendung einer technischen Altersprüfung noch eine “Sendezeitbeschränkung” in Frage kommen. Ihnen bleibt dann nur die im JMStV vorgesehene Kennzeichnung der Website mit einer durch die geplanten Jugendschutzprogramme auslesbaren Altersfreigabe. Doch auch das ist schwierig und kommt für einen normalen Blog sicher nicht infrage.
In der Zwischenzeit haben schon einige Blogs dicht gemacht. Der besonders bei Jugendlichen bekannte VZlog.de kündigt die Schließung per 31.12.2010 an. Denn die Umsetzung der im JMStV geforderten Maßnahmen ist praktisch nicht durchführbar. Als Begründung werden viele Punkte angeführt, die auch für jeden anderen Blog oder Internetseite gelten.
Hier die Schließungsbegründung von www.vzlog.de:
“Wie ihr vielleicht wisst, verabschieden die Länderparlamente in Deutschland zurzeit eine Neufassung des Jugend-Medienschutz-Staatsvertrags, der die Pflichten von Inhalteanbietern in Rundfunk und Internet neu Regelt. Entscheidender Faktor dabei ist, das Anbieter maßnahmen zum Jugendschutz ergeifen müssen und dabei selbst bewerten müssen, für welche Altersstufen ein Inhalt gefährdend ist. Wird diese Einstufung vorgenommen, müssen geeignete Maßnamen getroffen werden, um einen Entsprechenden Jugendschutz zu gewährleisten.
Zukünftig gibt es drei Möglichkeiten, wie ein Inhalteanbieter wie VZlog.de den Jugendschutz sicherstellen kann:
- Durch Alterverifikation z.B. durch einen Personalausweis, Postident oder ähnliches
- Durch “Sendezeiten”, welche die Verfügbarkeit von Inhalten einschränken
- Durch Alterskennzeichung
Die ersten beiden Optionen kommen für uns nicht in Frage, da sie aus finanziellen und technischen Gründen nicht umsetzbar sind, für ein Blog unserer Größe keinen Sinn machen und außerdem sichergestellt werden müsste, dass eine passende Alterseinstufung vorgenommen wird, ansonsten drohen erhebliche Strafen.
Die dritte Option ist eine Alterskennzeichnung. Diese ist technisch leicht umzusetzen, jedoch mit erheblichem Aufwand verbunden und Juristische sehr unsicher. Wir müssten diese Einschätzung selbst vornehmen und können uns keine Experten auf diesem Gebiet leisten, die alle 845 Artikel, 1218 Medieninhalte und 15797 Kommentare bewertet. Wenn wir diese Bewertung selbst vornehmen und diese falsch ist, kann dies zu hohen Geldstrafen führen.”
Auch der Berliner IT-Experte Kristian Köhntopp, der unter anderem zur Debatte um Netzneutralität in seinem Blog wichtige Beiträge lieferte, hat mittlerweile bekanntgegeben, wegen der Auswirkungen von Regelungen im Jugendmedienschutzstaatsvertrag sein Blog zu schließen. “Meine bisherigen Inhalte nehme ich morgen offline, und falls ich noch einmal irgendwas mache, dann für ein Land, das Zukunft hat. Nicht Deutschland.
Hier die letzte Meldung von blog.koehntopp.de
Offline (JMStV)
“Dieses Blog, mein Webserver und die koehntopp.de-Verteilerseite gehen morgen offline.
Der Grund ist der neue Jugendmedienstaatsvertrag, der gerade verabschiedet wird und der Ende des Jahres in Kraft treten wird. Nach diesem Vertrag müßte ich alle meine Inhalte durchgehen und mit einem Alterslabel versehen. Dafür habe ich keine Zeit und es wäre auch nicht produktiv. Für die Inhalte, die ab 16 oder ab 18 eingestuft sind (und das ist das Default-Label) müßte ich außerdem einen wirksamen Zugangsschutz mit Alterskontrolle implementieren. Einen solches zugelassenes Verfahren gibt es derzeit nicht, und wenn es das gäbe, wäre es nicht kostenfrei zu haben – und ich habe keine Lust, für meine kostenfrei angebotenen Inhalte Geld aufzuwenden, noch habe ich Lust, mein Blog in ein Geschäft umzuwandeln.
Wenn ich das nicht mache, öffne ich mich einem beträchtlichen finanziellen Risiko durch Abmahnungen und das will ich nicht tragen. Daher bleibt mir nur die Konsequenz, die Regeln für Internet-Startups auch auf meine eigenen Inhalte anzuwenden: Nicht in Deutschland, nicht in deutscher Sprache und nicht für Deutsche. Meine bisherigen Inhalte nehme ich morgen offline, und falls ich noch einmal irgendwas mache, dann für ein Land, das Zukunft hat.
Nicht Deutschland.
Und ich kann Euch nur raten, dasselbe zu tun” [weiterlesen]
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“Grundsätzlich gilt: Inhalte können im Internet frei angeboten werden, ohne dass der Anbieter aus
jugendschutzrechtlicher Sicht aktiv werden muss. Von diesem Grundsatz gibt es zwei Ausnahmen:
- Inhalte, die nur für Nutzer ab 12 Jahren geeignet sind und nicht von Inhalten, die für jüngere Kinder bestimmt sind, getrennt gehalten werden
- Inhalte, die nur für Nutzer ab 16 oder 18 Jahren geeignet sind. ….“[Zitatende]”
Um aber auf der sicheren (Web)Seite zu sein, kann man ab 2011 als Privatanwender (Familien-Webseiten, private Auftritte und Blogger) kostenlos das Klassifizierungssystem des FSM benutzen. Laut Veröffentlichung der FSM wird dieses kostenfreie Angebot auch für Nichtmitglieder verfügbar sein.
Ausgenommen von dieser “freiwilligen Pflicht” zur Alterskennzueichnung sind übrigens Anbieter von Nachrichten “von allgemeinem Interesse”. Das stellt großen Nachrichtenseiten wie Spiegel Online von all diesen Pflichten frei. Es gibt keine objektiven Kriterien für “allgemeines Interesse”, ausschlaggebend ist offenbar nur die Anzahl der Leser. Bild.de darf also weiterhin sexistische Tittenbildchen für ein Publikum ab 0 Jahren ins Netz stellen, während ein kleines Blog mit erotischen Inhalten – und seien diese noch so romantisch und unsexistisch – sich mindestens ein “ab 16″ einhandelt. [Quelle]
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Das hat Methode, denn natürlich geht es nicht um den Jugendschutz, sondern um Systemschutz. Die Mächtigen haben Angst, dass immer mehr Menschen aufwachen und sich Informationen aus dem Netz ziehen, anstatt die Systemmedien zu konsumieren. Allerdings vergessen sie eines – es gibt auch noch andere Möglichkeiten.