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Jedes Leben verharrt im Zustand der Ruhe oder der gleichförmigen Bewegung, solange es nicht die Kraft in sich findet, diesen Zustand zu ändern.
In dieser letzten Abwandlung fehlt der Begriff “äußere Kraft”. Newton behandelte einfache, unbelebte und damit willenlose Objekte. Der Stein ist passiv, er ist den äußeren Kräften ausgeliefert. Wir alle haben schon einen Stein aufgehoben und ihn in einen Fluß oder einen See geworfen. Der Stein versinkt, mehr passiert nicht. Ein Tier weigert sich, einfach unterzugehen, es schwimmt zurück ans Ufer, aus eigener, aus seiner inneren Kraft. Der Selbstmörder hingegen verzichtet darauf, seine innere Kraft einzusetzen, er ähnelt damit dem Stein, weil er seinen Lebenswillen aufgegeben hat.
Die gleichförmige Bewegung, das Leben in der Schafherde, ist uns allen vorgegeben. Die Eltern planen für uns, die Lehrer planen für uns, die Vorgesetzten planen für uns – wir haben keinerlei Mühe, uns nach dem Trägheitsprinzip durch das Leben treiben zu lassen. Natürlich gibt es immer die Momente der Entscheidung, in denen wir unserem Leben eine etwas andere Bahn geben. Wir entscheiden, ob wir bei Meier & Co. arbeiten oder doch lieber bei der Müller OHG. Ja, wir entscheiden auch, ob wir Buchhalter lernen oder Einzelhandelskaufmann, ob wir Juristerei studieren oder Elektrotechnik. Diese Entscheidungen bestimmen unser Leben, aber sie sind doch der Trägheit geschuldet, nur eine Entscheidung für eine neue Schafherde. Wir wählen unter vorgebahnten Wegen.
Laß alles stehen und liegen und folge mir nach?
Ich will weder eine Sekte noch eine Kirche gründen, ich will auch nicht, daß Sie Ihr Leben aufgeben, alle Wertsachen verkaufen und unter die nächste Brücke ziehen. Ich möchte höchstens, daß Sie Ihre Hand auf Ihre linke Schulter legen und sie dann langsam nach rechts gleiten lassen. Da merken Sie, daß das nicht ganz so einfach geht, weil dazwischen etwas im Weg ist. Das störende Objekt nennt sich Kopf, wenn Ihre Hand schon mal da ist, sollten Sie ganz sanft darauf tätscheln. Wenn Sie wollen, dürfen Sie sogar “guter Junge / tolles Mädchen” sagen. Das macht ja sonst keiner. Diese Erhebung verhindert, daß es in Ihren Hals hineinregnet, aber man kann damit noch viel mehr anstellen. Zum Beispiel einen Hut draufsetzen.
Hier wird entschieden, ob Sie als Schaf unter Schafen oder als aufrecht gehender Mensch leben. Halten Sie die Nase unten, haben Sie Ruhe, Sie finden ein bißchen Gras und ein paar Hinterlassenschaften von Ihren Mitschafen. Guten Appetit, die Trägheit hält Sie in dem Zustand der gleichförmigen Bewegung. Vielleicht haben Sie ja Glück und merken nicht einmal, daß Sie zwischendurch geschoren werden.
Als Hütehund haben Sie genauso ihren Acht-Stunden-Tag wie als gewöhnliches Arbeitsschaf, Sie sind trotzdem schon den Fesseln der Trägheit entronnen. Sie benutzen Ihren Kopf zu mehr, als nur einen Hut draufzusetzen. Und die Belohnung dafür? Statt mit der Nase in den Hinterlassenschaften von Schafen zu stecken, weht Ihnen frischer Wind um die Nase. Und Sie sehen die Umgebung, statt nur den Dreck auf dem Boden. Das ist schon alles, mehr will ich gar nicht von Ihnen. Leben Sie, anstatt sich von der Trägheit leben zu lassen. Es kostet ein wenig Übung und ein bißchen Mühe, aber es lohnt sich, Sie entgehen der Schur.
Der erste Schritt ist relativ einfach: Schauen / hören / lesen Sie Nachrichten bewußt. Selbst die qualitätsfreien Medien geben Ihnen alle Hinweise auf die wirkliche Welt, wenn Sie nicht nur konsumieren sondern reflektieren. Oh, Sie sind damit noch kein Mond und erst recht keine Sonne, aber immerhin haben Sie es von der tauben mausgrauen Nuß im Kosmos zum prächtigen Kometen geschafft, eine kleine Spur im Universum hinterlassen.
Der “Mond” muß erarbeitet werden, dazu müssen Sie “böse” Bücher lesen und “böse” Seiten im Internet aufsuchen. Erinnern Sie sich an den Ortsverein? Die Parteimitglieder haben sich versammelt, um über den Zustand ihrer Innereien zu berichten, über ihre Kinder zu klagen und die Eigenheiten ihrer Nachbarn zu beschreiben. Sprechen Sie doch mal über ein anderes Thema. Reden Sie ruhig einmal über Ihre Sorgen bezüglich der irischen Schulden – und warum die Kanzlerin trotzdem so tut, als sei ein neues Wirtschaftswunder ausgebrochen.
Tun Sie es sich nicht an, Ihre Nachbarn dazu aufzufordern, Lebensmittelvorräte anzulegen und in Gold und Silber zu sparen. Die Schafe wollen grasen, mehr nicht. Begnügen Sie sich als Hütehund, sie ein wenig zu zwicken, das reicht. Vielleicht wollen die Schafe ja auch mal Hütehunde werden? Ein kleiner Schubs genügt, um den Zustand der “gleichförmigen, geradlinigen Bewegung” zu beenden. Hat Newton jedenfalls gesagt, denn das ist die äußere Kraft, die auf den Körper einwirkt.
Ob Sie zum Schäfer aufsteigen wollen, ist Ihre Entscheidung. Denken Sie dabei an die Sonne – wenn Sie das innere Feuer entzünden, wird es Sie ganz langsam verzehren. Sie haben damit die Trägheit endgültig abgeworfen, Sie leben aus eigener Kraft. Ihr Leben verliert an Sicherheit, dafür gewinnen Sie die Kontrolle über sich selbst. Hütehund ist einfacher als Schäfer, Komet einfacher als Mond und Mond immer noch einfacher als Sonne.
Ich fordere Sie nur auf, den ersten Schritt zu tun, der Trägheit zu entrinnen. Niemand kann und darf von Ihnen verlangen, Ihr Leben als Sonne zu führen. Kometenkerne und Monde bleiben erhalten, während sich Sonnen verzehren. Eines aber, eines können nur Sonnen: das Universum erleuchten! [weiterlesen] MUST READ